22.8.05

Leben mit einem Behinderten (von Chris)

Leben mit einem Behinderten.

Synonyme: aufhalten, beeinträchtigen, durchsetzen, erschweren, hemmen, hindern, lähmen, stören, verzögern
ist Synonym von: abbremsen, abdrosseln, aufhalten, dagegenarbeiten, dämmen, drosseln, entgegenarbeiten, entgegensetzen, entgegenwirken, erschweren, frustrieren, hemmen, hemmen, hinderlich, hindern, lähmen, lahmlegen, lästig, querschießen, sabotieren, stören

Alles Unglück kommt durch den Mund ( Japanisches Sprichwort ).

Behindert klingt so abwertend! Ich meine, sind wir nicht alle irgendwie „behindert“? Durch unsere Komplexe, durch unsere Arbeit, durch welche Umstände auch immer. Das Wort „behindert“ bezeichnet viele Bereiche des Lebens und nicht nur Menschen, die in ihrem Leben körperlich oder geistig eingeschränkt sind.

Viele Menschen sprechen dieses Wort aus, ohne über den wirklichen Sinn nachzudenken. Ich z. B. behindere mich jeden Tag aufs Neue durch meine Hektik und dadurch, dass ich nicht entspannen kann. Werde ich deswegen als Behinderte bezeichnet? Eigentlich ist bisher noch nie jemand auf die Idee gekommen, mich so zu nennen. Warum? Unsere Gesellschaft hat hier feste Normen und Werte erstellt. Dass Menschen aber mit sichtbaren Behinderungen im Leben meist mehr bewerkstelligen müssen als andere, erlebe ich seit 23 Jahren immer wieder aufs Neue.

Seit dieser Zeit bin ich mit einem „behinderten Mann“ verheiratet. Zu Anfang unserer Beziehung (mein Mann konnte zu dieser Zeit noch recht „gut“ gehen), störten mich am meisten diese aufdringlichen Blicke unserer Mitmenschen, wenn wir mit unserem Sohn spazieren gingen. Manchmal konnte ich mir die Frage: „Möchten Sie vielleicht auch noch ein Passbild?“ nicht verkneifen. Doch solche Sätze lernte ich zu verschlucken, weil ich meinen Mann dadurch erst auf diese Blicke aufmerksam machte. Er hatte gelernt, solches zu übersehen.

Im alltäglichen Leben sind es aber noch andere Dinge. Als mein Mann nach seinem Herzinfarkt in ein tiefes depressives Loch fiel und keiner ihm heraushelfen konnte, zudem die Gehstörungen immer schlimmer wurden und seine Kraft sich immer mehr reduzierte, beantragte er die Erwerbsunfähigkeits-Rente. Dies wurde ihm auch genehmigt. Dann die dummen Bemerkungen Außenstehender: „Was machst Du jetzt eigentlich den ganzen Tag?“, „Dann hast Du jetzt aber ein schönes Leben!“ „Wer eine arbeitende Frau hat, braucht keinen Job mehr!“ u.s.w. Die machten uns das Leben auch nicht einfacher. Mein Mann bekam immer mehr Depressionen, fühlte sich als Versager, als Hypochonder und konnte sich nicht mehr mit seiner Rolle als „Familienoberhaupt“ identifizieren. Zudem hatte er Angst, dass seine Söhne die Zeichen der Zeit missverstehen könnten.

Erst als man beim ihm das Post-Polio-Syndrom diagnostiziert hatte und er sich dadurch seine ganzen Einschränkungen im täglichen Leben erklären konnte, wurde unsere gemeinsame Situation deutliche besser. Durch diese Diagnose waren viele Einschränkungen erklärbar und auch zu verstehen. Er lernte damit umzugehen und manchmal auch dummen Kommentaren Paroli zu bieten.
Ich glaube, die meisten „behinderten“ Menschen haben mehr Selbstvertrauen als „Nichtbehinderte“. Dafür und für Ihre Willensstärke, ihr Leben trotz allem, oder gerade deswegen zu leben, bewundere ich sie.


Liebe Grüße

Chris

1 Kommentar:

  1. Anonym5:40 PM

    Wenn mich Menschen bewundern, weil ich als Behinderte ganz alltägliche Dinge tue, wie jeder andere auch, so ist mir das eher unangenehm. Ich nenn sowas eine Positivdiskriminierung. Denn trotz allen Wohlwollens zeigen Sie Ihrem Mann doch, dass er anders ist und sie sich mit Ihrer "Bewunderung" über ihn stellen. Da würd ich auch Depressionen kriegen.

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