19.8.05

Lebenslauf eines Polios - ein Bericht von Simon

Mein Polio-Lebenslauf

Ich möchte nun auch meine Geschichte und Erfahrungen niederschreiben, wobei ich erwähnen muss, dass ich die ersten Jahre (ca. 6 Jahre) nur aus Erzählungen wiedergeben kann, da ich mich an diese Zeit nicht mehr erinnern kann.

Trotz einer erhaltenen Polio Impfung wurde ich 1957 im Alter von ca. 1 ½ Jahren mit Polio infiziert. Ich erhielt damals als Polio Impfung eine Spritze, da es die Schluckimpfung meines Wissens noch nicht gab. Ich war das dritte und letzte Kind in unserer Familie. Am Tag zuvor bin ich noch quietsch vergnügt durch die Wohnung in München gelaufen. Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr bewegen geschweige denn laufen. Ich wurde sofort in die Haunersche Kinderklinik in München eingeliefert. Die Diagnose war Kinderlähmung. Mich hatte es an beiden Beinen und beiden Armen erwischt. Am linken Bein blieb die Lähmung zurück und dadurch auch eine erhebliche Beinverkürzung die Heute ca. 12 cm beträgt. Insgesamt verbrachte ich durchgehend 2 ½ Jahre im Krankenhaus, wobei ich nach einiger Zeit in ein Krankenhaus in Ohlstadt, ca. 50 km entfernt, verlegt wurde. Es handelte sich dabei um ein Krankenhaus mit Ordensschwestern. Das kann ich aus alten Bildern erkennen.
Da meine Eltern nicht motorisiert waren und auch die finanziellen Mittel gerade nicht üppig waren, erhielt ich nur sehr selten Besuch. In diesem Krankenhaus erhielt ich eine Ganzbeinorthese mit einem Hüftgürtel. Kurz vor Weihnachten 1959 wurde ich nach Hause entlassen. Da meine Eltern nicht mit meiner Entlassung gerechnet hatten, musste noch schnell ein Geschenk für mich besorgt werden. Meine Eltern ließen ein altes Schaukelpferd neu mit Stoff beziehen, welches ich dann zu Weihnachten 1959 bekam.
In den Folgejahren kam ständig das Fürsorgeamt und versuchte meine Eltern davon zu überzeugen, mich in ein Heim zu geben, was meine Eltern kategorisch ablehnten.
Als meine Orthese kaputt war, war dies für meine Mutter ein Spießrutenlaufen. Egal zu welchem Orthopädietechnikergeschäft sie ging, bekam sie die Antwort „Lassen sie es dort reparieren wo es hergestellt wurde“. Dies war natürlich nicht möglich, da es ja in Ohlstadt hergestellt wurde. Anscheinend war das geistige potenzial dieser Firmen nicht groß genug um zu erkennen, dass die Patienten von damals die Kunden der Zukunft sind. Schließlich kam meine Mutter an ein Orthopädiegeschäft, für das es selbstverständlich war, meine Orthese zu reparieren. Ich möchte hier zwar keine Werbung für irgendjemand machen, aber man muss doch in so einem Fall sagen dürfen, um wen es sich handelt. Es war die Firma Merzendorfer in München, die auch auf der Internetseite der Regionalgruppe München Werbung macht. Es scheint so, dass zu der damaligen Zeit wohl nur dieser Firmenchef den Kunden der Zukunft erkannt hat. Wie Recht er hatte!

Im September 1962 wurde ich in München eingeschult. Ich ging zusammen mit meiner Mutter am ersten Schultag bepackt mit einer Schultüte voller Süßigkeiten zur Schule. Ich habe diesen Tag in guter Erinnerung.
Die folgenden Jahre in der Grundschule vergingen so lala. Irgendwie hatte ich oft den Eindruck, dass man mich wegen der Behinderung wohl nicht so ernst genommen hat. Dies galt für Mitschüler und auch für Lehrer. Dazu kam, dass meine Schwester der Liebling meines Vaters war und mein Bruder der Liebling meiner Mutter. Während dieser Zeit – aber wahrscheinlich schon im Krankenhaus in Ohlstadt- musste ich immer nachts in einer Gipsschale schlafen in der ich immer von meiner Mutter mit Binden befestigt wurde. In dieser Gipsschale waren das komplette linke Bein und der gesamte Oberkörper fixiert so, dass keinerlei Bewegung möglich war.
Ich musste mit meiner Mutter jede Woche zweimal in die Haunersche Kinderklinik zur Krankengymnastik. Wir fuhren dorthin immer mit der Straßenbahn. Meine Mutter schaute immer, dass ich gleich einen Sitzplatz bekam. Ich kann mich noch gut erinnern, insbesondere wenn ältere Damen einstiegen, wollten sie meinen Sitzplatz. Meine Mutter erwiderte: „der Junge ist behindert und wenn Sie wollen, können Sie meinen Platz haben“.
Darauf kam die Antwort: „Wo wird es ihm schon fehlen, doch nur im Kopf“.
Meine Beinschiene habe ich, wenn es irgendwie ging, nicht getragen. Ich habe das Teil gehasst. Mit dem Fahrrad war ich wesentlich beweglicher. Durch den Bewegungsdrang, den natürlich Kinder in diesem Alter haben, brach die Beinschiene des Öfteren. Man muss auch sagen, dass das Material von damals mit dem heutigen nicht zu vergleichen ist. Meine Mutter musste jedes Mal wegen einer Reparatur zur Krankenkasse um die Genehmigung einzuholen. Sie bekam meistens den Kommentar zu hören, warum denn diese schon wieder kaputt sei. Dies nur kurz zur Menschenfreundlichkeit der Krankenkassen.
Die Orthopädietechniker von damals haben es wohl nicht verstanden, dass ich mein Knie nicht selbstständig halten konnte. Ich musste immer mit der linken Hand gegen das Knie drücken, um nicht hinzufallen. Durch diese ständige Schiefhaltung entwickelte sich auch eine Wirbelsäulenverkrümmung.
Im Alter von, - ich glaube- 11 Jahren, bekam ich wieder mal eine neue Beinschiene und dann wurde wegen meiner Skoliose und Scheuermann gleich ein Korsett daran befestigt, welches bis unter die Achsel reichte. Die Beinschiene und das Korsett waren komplett zum schnüren und es dauerte immer ewig bis ich in dem Gestell richtig eingeschnürt war. Ich habe diese Apparatur gehasst und habe es möglichst wenig getragen, was zur Folge hatte, dass meine Wirbelsäulenverkrümmung zunahm. Es war auch so, dass ich natürlich soweit es möglich war, lieber Fußball spielte und schwimmen ging. Meine Monster-Orthese blieb dann auch immer zu Hause. Die Orthese war nicht sehr oft kaputt, denn ich habe sie fast nie getragen.
Während dieser Zeit verging die Schule weiterhin nicht berauschend. Ich hatte einen Lehrer, mit dem ich in keinster Weise zu Recht kam. Die ganzen Umstände waren so, dass es so aussah, als ob ich für die Hauptschule zu Doof wäre.
Als die Zeit kam, wo ich einen Ausbildungsplatz bekommen sollte, wusste ich lange Zeit nicht, was ich für einen Lehrberuf ergreifen möchte. Das Arbeitsamt bot an, einen Eignungstest und eine Berufsberatung zu machen. Bei diesem Test war ich plötzlich klug genug für mindestens die Mittlere Reife der Realschule. Ich wollte aber davon nichts mehr wissen und habe mich entschlossen, den Beruf Technischen Zeichner zu erlernen.
Bei dem Vorstellungsgespräch wurde ich von dem Prokuristen aufgrund meiner Behinderung gefragt, ob im Kopf alles in Ordnung sei. Wie das Schicksal so spielt, sitzt dieser damalige Prokurist heute hinter Schwedischen Gardinen, wo er wohl auch hingehört.
Mein zuständiger Ausbilder war absolut in Ordnung. Ich habe nach 3 ½ Jahren Ausbildungszeit meine Lehre beendet mit einem Berufsschulabschluss von 1,8 Notendurchschnitt.
Bei meinem Führerschein habe ich erneut erlebt, wie man Menschen mit Behinderungen Steine in den Weg legt. Zuerst musste ich zur Untersuchung zum TÜV, wo nachvollziehbare Auflagen gemacht wurden. Ich musste jedoch noch zur Psychologisch-Technischen-Untersuchung im Volksmund Depperltest genannt. Man darf diesen Depperltest auch selbst bezahlen! Ich hätte nachvollziehen können, wenn man eine medizinisch-körperliche Untersuchung durchgeführt hätte. Aber nein auch die geistige Verfassung müsste geprüft werden! Anscheinend setzt man voraus, dass sich eine körperliche Behinderung selbstverständlich auf das Hirn auswirkt. Bei diesem Test kam das gleiche Ergebnis wie beim TÜV heraus. Trotz aller Schwierigkeiten habe ich auf Anhieb die Führerscheinprüfung bestanden. Natürlich musste ich nach 5 Jahren erneut zum Depperltest, denn es hätte sich ja mein Zustand verschlechtern können.
Nach etwa 6 Jahren Berufserfahrung wollte ich mich zum Techniker fortbilden. Bei einem Termin beim Arbeitsamt hat man mir mit aller Macht davon abgeraten. Warum mag ich nicht zu beurteilen. Ich habe es so hingenommen und es folgte ein Firmenwechsel.
1982 starb mein Vater und 1984 starb meine Mutter.
Ich habe dann 1987 mich fest dazu entschlossen, den Lehrgang zum Techniker zu machen. Diesmal lies ich mich durch das Arbeitsamt nicht abbringen. Ich hatte nur jetzt den Nachteil, dass ich dies neben meiner beruflichen Tätigkeit machen musste, weil ich ja keinen Sponsor mehr hatte. Ich war beruflich sehr angagiert und arbeitete nicht unter 10 Stunden am Tag, oftmals länger. Diese Technikerprüfung habe ich dann 1991 mit Erfolg abgelegt.
Es folgten Berufsjahre, die für mich sehr erfolgreich waren. Meine tägliche Arbeitszeit war nie unter 10 Stunden eher 12 Stunden. Ich war auch als Geschäftsführer eines Ingenieurbüros sehr oft im Ausland. Mir hat die Arbeit sehr viel Spaß gemacht.
Nachdem ich gesundheitlich immer mehr Probleme bekam, musste ich mich wieder dazu entschließen ein Korsett zu tragen. Der Orthopädietechniker meinte, man sollte es an der Beinschiene befestigen, was ich natürlich nicht wollte. Ich bekam noch ein Korsett, das erheblich größer war als das vorherige. Bei einer Neuversorgung von Beinschiene und Korsett im Jahre 2001 habe ich mich dann entschlossen, das Korsett an der Beinschiene befestigen zu lassen, was auch mit Sicherheit das Beste war.
Am 23.12.2003 hat mich das große Glück erwischt. Ich lernte über das Internet meine jetzige Lebensgefährtin kennen, die mir allen Mut und Kraft gibt.
Über Jahre ließen meine Kräfte immer mehr nach, bis im August 2004 die Diagnose PPS gestellt wurde, wobei sich der Arzt nicht definitiv festlegen konnte. Im Februar 2005 war ich auf Initiative meiner Hausärztin bei Polio Spezialisten des, -Friedrich-Baur-Instituts-, in München, die ohne Zweifel die Diagnose PPS stellten.
Am 01.03.2005 beendete ich mein Arbeitsverhältnis, weil mein Gesundheitszustand nicht mehr zuließ, weiterzuarbeiten und habe die Rente wegen Erwerbsminderung eingereicht.
Ich hoffe, dass ich bald von der BfA einen positiven bescheid bekomme.
Heute plagen mich sehr oft Rückenschmerzen, insbesondere nachts denn tagsüber stecke ich ja in einem Kunststoffkorsettpanzer, und viele andere Symptome, die Ihr auch alle kennt.

Leider wurde es etwas lang aber ich wollte nichts weglassen. Ich könnte noch eine Menge erzählen aber dann würde ich wohl in drei Wochen noch schreiben.


Liebe Grüße

Simon

1 Kommentare:

At 5:12 AM, Anonymous Anonym said...

die Unvergleichliche Phrase, gefällt mir sehr:) levitra ohne rezept cialis 20mg preisvergleich [url=http//t7-isis.org]cialis preise apotheke[/url]

 

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