4.7.05

Kernwasser-Wunderland - Ein Reisebericht von Ilke

Willkommen im Kernwasser-Wunderland (für mehr Informationen bitte Überschrift ankicken!)

Bevor Sie sich fragen, wer so verrückt sein kann, auf die wahnsinnige Idee zu kommen, in einem Kernkraftwerk zu übernachten und dafür auch noch Geld zu bezahlen..... iiiiccchhhhh!!!!

KERNWASSER-WUNDERLAND KALKAR

Sofort liefen all die Bilder von Anti-Atomkraftwerk-Demonstrationen vor meinen Augen ab: Prügelnde Polizisten und Autonome, ich sah Wassergräben und -werfer, Stacheldrahtzäune, Chaos ohne Ende... Und wir verbringen hier auch noch freiwillig unsere Freizeit? - Irgendwie krass, nicht wahr? Ferien im Atomkraftwerk! - Ja, sind wir jetzt völlig wahnsinnig geworden?Mag sein, aber wir taten es!

Diese Voraussetzungen mußten erfüllt sein: Tochter und Freund hatten gemeinsam dienstfrei, mein Ehemann hatte Lust und ich hatte die Kohle!

Also nicht lange überlegt (manchmal ist Spontaneität gefragt), Herrn Peper (alles und überall und sowieso Holländer) vom Buchungsservice angerufen, ein großes Zimmer für Rollstuhlfahrer und ein kleineres für "unauffällige Gangbilder" geordert, gefragt, was beachtet werden sollte und wichtig sein könnte und ab ging es grobe Richtung Arnheim.


Nach ca. 1 Stunde Fahrzeit durchquerten wir Kalkar und das (Gott sei Dank nie ans Netz gegangene) "Möchtegern-Atomkraftwerk" kam in Sicht.
Die Gebäude, aus denen einst das Kernkraftwerk Kalkar werden
ECHOKÜHLTURM (1)

sollte, wirken auf uns seltsam friedlich und vollkommen ungefährlich. Von dem charakteristischen Kühlturm des Kernkraftwerkes springt uns eine gemalte Berglandschaft ins Auge. Fröhliche Ausgelassenheit und lautes Gejohle dröhnen aus dem Inneren des Turmes, in dem Jugendliche das Prinzip des Echos zu verstehen versuchen (haben wir dann auch gemacht, wirklich beeindruckend).

Und so wollte dann auch der Rest der einstigen Betonwüste am Niederrhein von uns erobert werden.



Was Spannen- des, was zum Spielen und diverse Leckerchen





Vorher noch schnell etwas zur Geschichte:

Im Herbst 1972 beschlossen die Niederlande, Belgien und Deutschland den gemeinsamen Bau des Schnellen Brüters. Er wurde gebaut ab 1973. Die Bauzeit betrug zwölf Jahre und die Gesamtbaukosten 4 Milliarden Euro. Und errichtet wurde das Ganze auf einer Fläche von 80 Fußballfeldern!

1985 war der Schnelle Brüter fertiggestellt und ruhte dann bis 1991, um nach einer relativ kurzen Phase der Betriebes endlich gestoppt zu werden. Heute ist der Schnelle Brüter als einer der teuersten Bauruinen bekannt.

Noch etwas zur Technik:

Schnelle Brüter nutzen zur Spaltung des Atomkerns Plutonium. In Betrieb, "brüten" sie aus Uran-238 neues Plutonium und können im Idealfall mehr Plutonium "brüten", als sie verbrauchen, wodurch die Uranvorräte um den Faktor 60 gestreckt werden sollen. Als Kühlmittel wird flüssiges Natrium verwendet.

Grundsätzlich wird der Schnelle Brüter als gefährlichster Reaktortyp eingestuft, insbesondere, was die Wahrscheinlichkeit von Störfällen und Auswirkungen auf die Umwelt angeht. Ob das hohe Gefahrpotential durch die

ECHOKÜHLTURM (2)

zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen wettgemacht werden kann ist zweifelhaft oder zumindest unklar.

Das Kühlmittel Natrium stellt eine besondere Gefahr dar, da es mit Luft und Wasser heftig reagiert und zu Korrosionen an Anlagenteilen führt. Bei einem Kühlmittelverlust zeigt der Schnelle Brüter im Gegensatz zu Druck- und Siedewasserreaktoren keine Selbststabilisierung. Im Gegenteil: seine Leistung nimmt sogar noch zu.

Zum Eingreifen bleibt für die automatischen Sicherheitssysteme weniger als eine Sekunde Zeit. Wegen der hohen Plutoniumkonzentrationen kann es zu nuklearen Explosionen kommen, denen der Reaktordruckbehälter unter Umständen nicht standhält.
VOR DEN SPASS HAT DER LIEBE
GOTT DEN SCHWEISS GESETZT

Wegen des größeren radioaktiven Inventars liegen die Umweltauswirkungen bei einem Supergau um das 2 - 5fache höher als bei einem normalen Atomkraftwerk.

Hätten Sie das gewusst? Ich nicht, aber jetzt wohl! Frei nach dem Motto: "Du kannst alt werden wie eine Kuh, du lernst immer noch dazu!" war das allein schon eine Reise wert.
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Nun aber schnell zum vergnüglichen Teil:

1. Tag

An der Rezeption angemeldet, Zimmer bezogen (52 qm groß mit Blick auf das Reaktorgebäude) und ab zum Essen. Wie Sie lesen werden, ist es eine "All-inklusive-Anlage" - Essen, Trinken, Kuchen, Eis usw. von 7.00 Uhr bis 00.30 Uhr. Das Essen war ausgesprochen gut: Lachs, geräucherte Forelle und Aal, Salate usw. als Vorspeisen, warme Gerichte, Suppen, Eisbar mit heißen Kirschen, Schokosoße und Kuchen satt.
Da man(n) (und auch Frau) nicht mehr als Essen kann, haben wir uns relativ schnell auf den Weg gemacht, die Vergnügungsmeile im Keller zu erobern. Da ging meinen Lieben aber das Herz auf: Autorennen, Tontaubenschießen, Bowling, Kegeln, eine Bar an der anderen,Weinstube..Und für nichts,SCHNELLER BRÜTER MIT HOTEL
aber auch rein gar nichts, muss man sein Portemonnaie aus der Tasche ziehen.

Nach mehr als 2 Stunden hatte ich die Nase voll vom Zuschauen - das "bittere Los" einer Rollstuhlfahrerin - und bin mit meinem e-fix auf eigene Gefahr und gaaaanz alleine auf Entdeckungsreise gefahren.

Es war toll und beeindruckend, aber auch schweinekalt! Aber es war nett, mit Gärtnern und Bauarbeitern zu schwätzen. Wie schön es hier wohl im Sommer wäre?

Um 16.00 Uhr dann ab zur Weinprobe - ganz edel, mit Käseplatte, Baguette und Weinen aus aller Welt in rot, rose und weiß. Danach wusste ich die Vorzüge meines Rollstuhls und die Nähe des Hotelzimmers sehr zu schätzen!!!!

Ab 20.00 Uhr ging es dann weiter mit Abendbuffet, Livemusik und diversen Spielchen, alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken bis fasst zur Sperrstunde.
Erschöpft, aber zufrieden ab ins Heiabett und auf den nächsten Tag gefreut!

2. Tag

Gut geschlafen, Gardine aufgezogen, Aussicht genossen, gefrühstückt, Holland unsicher gemacht, über Kevelaer (Wallfahrtsort mit sehr interessanter Stadtgeschichte) und Xanten (hier hausten die Römer) zurück ins Kernwasser Wunderland, ausgeruht, am Abendbuffet gestärkt und ab in die Katakomben.

Über den Tag verteilt waren mehr als 800 neue Gäste angereist, mit denen wir dann die halbe Nacht ziemlich heftig abgefeiert haben. Irgendwann habe ich mich verabschiedet, aber Dank dicker Wände (zur Erinnerung, wir schlafen in einer Kernkraftwerkruine) geschlafen wie ein Baby.
3. Tag

Ausgeschlafen, gefrühstückt, gepackt, noch eine Runde gedreht, den Schiffen auf dem Rhein hinterher geschaut, noch einmal über das Echo im Kühlturm gestaunt und dann wieder ab Richtung Heimatgefahren.

Auf jeden Fall hat dieses Wochenende auf uns den spontanen Eindruck hinterlassen: Besser kann man ein Atomkraftwerk kaum nutzen!

Nähere Informationen finden Sie unter: www.kernwasser-wunderland.de


Liebe Grüße

Ilke