24.9.05

Reise nach Prag

Wir haben drei wunderbare Söhne (meistens jedenfalls). Diese meinten, dass es mal an der Zeit wäre, ihren Eltern eine Reise zum Geburtstag zu schenken. Also buchten die Drei heimlich und leise unter der Regie von Pierre eine Städtetour nach Prag.

Gesagt getan, die Überraschung war groß. Und die Augen wurden noch größer als ich sah, dass es sich um eine Flugreise handelte. Ich bin noch nie geflogen!!!

Es kam der Tag der Tage, wir mussten morgens um 04.00 Uhr aufstehen. Die Nacht kaum geschlafen, die Angst vor dem Flug war sehr groß. Und am Flughafen dann die Erkenntnis: es ist noch kein Flugzeug oben geblieben, also rein ins Vergnügen!

Beim Einchecken wurde uns von einer freundlichen Mitarbeiterin von Germainwings mitgeteilt, dass uns eine Person an Bord des Flugzeugs begleiten würde. Dieser junge Mann kam wirklich, wir kamen mit dem Rolli sofort durch die Passkontrolle und auch als erste durch den Checkin an Bord.

Es waren bereits Plätze für Lothar und mich vorbereitet, so dass wir es uns in aller Ruhe bequem machen konnten. Der Start war klasse, der Flug unbeschreiblich und die Landung perfekt, so dass ich meine Flugangst sofort ablegen konnte.

In Prag angekommen, schnell einen Shuttelbus genommen, ab zum Hotel. Das Hotel kann sich sehen lassen und die freundlichen Mitarbeiter waren einfach spitze. Da unser Zimmer noch nicht fertig war, wurde uns auf Kosten des Hauses ein Kaffee serviert und nach 20 Minuten konnten wir das Zimmer beziehen. Es war ein Traumzimmer, groß genug, so dass Lothar mit dem Rolli keine Probleme hatte, einen wunderschönen Ausblick auf Prag bietend.

Nachdem wir unsere wenigen Habseligkeiten verstaut hatten, machten wir uns sofort auf den Weg in die Innenstadt von Prag. Das war unkompliziert, da direkt vor dem Hotel die richtige Haltestelle der Straßenbahn ist. Das Einsteigen war zwar jedes Mal etwas mühselig, da Lothar aus dem Rolli raus musste, der Rolli zusammengeklappt werden und das Ganze dann in die Bahn gehoben werden musste. Aber wir konnten so auf der Fahrt schon die Stadt genießen, wenn man von dem rasanten Tempo und den waghalsigen Fahrmanövern absah.

Prag ist nicht nur eine Reise wert, Prag muss man einfach und das mehrfach erleben. Die Stadt ist wunderschön, die Menschen sind freundlich und sehr bemüht einem zu helfen.

Unsere Wanderungen durch Prag führte uns in kleine Gässchen, die von außen wie einfache Toreingänge aussahen, im Innern jedoch kleine Cafes, Boutiquen und Geschäfte verbargen. Über unseren Köpfen hing oft die Wäsche der Mieter, die die Häuser bewohnten.

Wir fanden ein Hardrock-Cafe, wir fanden einen Straßenschmied, der Lothar einen selbst gemachten Kleiderharken schenkte. Wir fanden ein verborgenes Restaurant, in dem man köstlich speisen konnte (zu sehr humanen Preisen). Wir fanden einfach einmal Zeit für uns selbst, und wir fanden heraus, dass wir diese ganze Reise ohne Rolli nie hätten machen können! Es war zwar manchmal etwas mühsam, Lothar mit Rolli über das Kopfsteinpflaster zu schieben (in der Altstadt von Prag gibt es fast nur Kopfsteinpflaster in allen möglichen und unmöglichen Größen!!!), aber wir hatten trotzdem und irgendwie gerade deshalb unseren Spaß.
Natürlich machten wir auch eine Moldau-Schifffahrt und konnten so die Alexanderbrücke aus allen Perspektiven betrachten. Da Prag den Krieg ohne wesentliche Schäden (es wurde nur eine kleine Kirche von einer Granate getroffen) überstanden hat, ist sie mit ihren alten Gebäuden wirklich mehr als sehenswert. Wir hatten auch Glück mit unserem Reiseführer, einen sehr netten älteren Herren, dessen Vater lange Zeit in Wien gelebt hatte.

Die Zeit verging jedenfalls wie im Fluge, schnell waren unsere Tage in Prag zu Ende. Am letzten Tag wagten wir dann noch, mit der Straßenbahn zum Prager Schloss zu fahren. Ein imposantes Gebäude, für das wir nur leider viel zu wenig Zeit hatten.

Und nun noch eine kleine nette Episode zum Schluss:
Unser Hotel verfügte auch über ein sehr schönes Gartenlokal, leider aber mit dem Hindernis etlicher Treppen, runter wie rauf. Da wir nun die sehr schönen warmen Abende nicht im Zimmer verbringen wollten, sind wir also zur Rezeption mit der Frage, ob es einen anderen Weg in dieses Lokal geben würde. Die Dame war sehr nett und hilfsbereit und rief den Sicherheitsdienst. Dieser führte uns durch verschlungene Gänge und Wege zu einer Terrasse, auf der auch Tische und Stühle standen. Jedoch war das eigentliche Lokal, in welches wir wollten, immer noch nicht erreicht, es war noch eine Treppe zu bewältigen. Nachdem uns der nette Mann nach seine Meinung gut abgeliefert hatte, schauten Lothar und ich uns an, und meinten, dass es dort oben sicherlich netter sei, als so alleine auf der Terrasse. Also die Frage: „Lothar, schaffst Du die Stufen hinauf?“ „Aber klar doch, die paar Stufen schaffe ich, ist ja ein Geländer da, an dem ich mich festhalten kann.“ Also nahmen wir die Herausforderung an, und Lothar hangelte sich die Stufen empor und wir konnten es uns gemütlich machen. Einige Zeit später kam der Sicherheitsmann, um zu sehen ob alles in Ordnung war, und sah uns beiden oben sitzen. Ich glaube, er fühlte sich ein wenig vernatzt, so nach dem Motto: „Wie jetzt doch Laufen können?!“

Es gäbe noch so viel zu erzählen, aber dies würde den Rahmen sprengen, es käme wahrscheinlich ein Roman dabei heraus.

Unsere Zeit in Prag war wunderschön, aber leider viel zu kurz. Aber ich glaube, es war nicht unsere letzte Reise nach Prag.

Liebe Grüße

Chris und Lothar

22.9.05

Die Geschichte der Karin S. (Teil 2)

Aber war meine Schulzeit zwar eine Qual und habe ich sie mir auch selber verlängert, so war ich doch kein Kind von Traurigkeit.

Ich war eine ganz normale Jugendliche und so war mir die Schule einfach irgendwann völlig egal gewesen und nur in meiner Freizeit konnte und wollte ich: ich selber sein.

Ich war ja schon von klein auf eine absolute Leseratte und so war ich natürlich der häufigste Gast und die eifrigste Leserin in unserer Pfarrbücherei. Seit ich 12 war, durfte ich dort auch aktiv mitarbeiten und so kam ich nach und nach auch mit dem aktiven Pfarrleben zusammen.

Ich wollte auch in eine Jugendgruppe, hatte ich nun doch auch die städtische Jugendarbeit als Mitglied erlebt. Aber in unserer Pfarrei gab es nur eine „Jungen KJG“ und keine Mädchengruppe. Das fand ich nicht so super und so habe ich mich, ich war glaube ich gerade 16 geworden, daran gemacht alle 14 - 15jährigen Mädchen in unserer Pfarrei anzuschreiben. Die Liste bekam ich von unserem Jugendkaplan, der meine Aktivität voll begrüßte. Und ich hatte Glück. Es entstand eine nette Mädchengruppe.

Wir hatten viel Spaß miteinander, machten gemeinsam den Jugendgruppenausbilder und so entstanden schon nach kurzer Zeit aus meiner Gruppe neue Ableger. Gleichzeitig verliebte ich mich das erste Mal, unglücklich, denn diese „Liebe“ wie ich meinte wurde nicht erwidert. Nun ja, Karin konnte noch nie geduldig sein. Und so habe ich meinen Schwarm einfach gefragt, ob er mit mir gehen möchte…..aber er sagte nein. Teenagerzeit, erste Liebe, erster Liebeskummer…. Wer kennt das nicht.

Aber das Leben geht weiter und nachdem ich wieder aus meinem Schneckenhaus raus gekrochen bin, wurde ich noch aktiver und betätigte mich noch zusätzlich im Haus der Jugend. Ich half in der Teeküche und gab Spiele aus und lernte viele neue Menschen kennen, die mich einfach so akzeptiert haben, wie ich bin. Es war eine wunderbare Erfahrung, anerkannt und gemocht zu werden.

Parallel hatte meine Mutter auch weiterhin meine Gesundheit im Blick. Über meinen Orthopäden bekamen wir einen Vorstellungstermin in der Uniklinik bei Prof. Immhäuser, der sich sehr für Poliofälle interessierte. Es wurden alle möglichen Untersuchungen vorgenommen.

Nervenbahnen wurden mit Nadeln auf ihr vorhanden sein und ihre Aktivität getestet. Eine schmerzhafte Untersuchung, und es reichte nicht nur eine. Doch dann sollte ich darauf hin endlich meine Schiene loswerden. Mein linkes Fußgelenk sollte versteift werden und somit wie eine innere Schiene wirken. Ich freute mich darauf, musste mich aber noch bis nach meinem Schulabschluss gedulden.

Bevor ich dann meine Ausbildung angetreten habe, kam ich erst mal für 12 Wochen ins Krankenhaus. Zunächst wurden wieder alle möglichen Untersuchungen gemacht, dann wurde die OP ein ums andere Mal verschoben, aber dann sollte es doch endlich so weit sein.

Ich lag mal wieder vorbereitet im OP-Hemdchen in meinem Bett und wartete, da kamen sie mich holen… mit einem Rollstuhl. Ich war zwar erstaunt, aber dachte mir nichts dabei. Doch brachte man mich nicht in den Operationssaal, sondern in den Vorlesungssaal, wo Prof. Immhäuser einen Vortrag über Polio halten wollte.

Ich war 17 ich saß im OP – Hemd in einem Rollstuhl neben dem Rednerpult, vor mir ein Auditorium voller Studenten und Studentinnen, ich wurde rot und verlegen und schämte mich, aber ich saß ja.

Prof. Immhäuser stellte mein Krankheitsbild vor, zeigte Röntgenaufnahmen von mir, und jeder Student hatte sämtliche neurologischen Befunde vor sich liegen. Der Professor fragte seine Studenten, welche Bewegungen ich denn noch machen könnte.

Außer einem „gar keine“ und „ich weiß nicht“ kam eigentlich nicht besonders viel. Erst als ich dann aufstehen und durch den Raum laufen sollte (barfuss konnte ich sogar ohne Schiene gehen), ging ein Raunen durch den Saal und es hagelten Fragen über Fragen, wie dies denn möglich sei. Gebannt habe auch ich zugehört und einiges über Vorderhornzellen, Aussprossungen und Arbeitsübernahme durch andere Nervenbahnen erfahren. Aber auch, dass noch niemand weiß, wie sich diese Doppelarbeitsbelastung im späteren Leben auswirken wird.

Nun ja am nächsten Tag wurde ich dann aber auch endlich operiert und bald schon durfte ich mit Gehgips nach Hause. Regelmäßig musste ich wieder zur Kontrolle in die Klinik und als endlich nach einigen Wochen der Gips runter kam, war ich glücklich wieder normal laufen zu können. Anfangs fiel es zwar wieder schwer, aber ich erholte mich schnell und nachdem ich auch die Platten rausbekommen hatte, fing mein Lehrgang für den gehobenen nichttechnischen Dienst in der Verwaltungsakademie an.

Aber leider klappte das mit der Versteifung nicht so ganz. Nach meinem ersten Ausbildungsjahr musste ich wieder für 6 Wochen in die Klinik, weil sich das Gelenk wieder gelockert hat und ich reichlich Schmerzen hatte.

Danach hat man mir von der Verwaltung nahe gelegt, mich zurückstufen zu lassen und mich mit meinen schwächsten Fächern geködert. Ich würde Steno und Schreibmaschine erlassen bekommen und finanziell auch keine Einbussen haben.

Und ich… ich habe zugesagt, denn das ganze erste Jahr noch mal wiederholen, wollte ich nicht. Und so wurde ich ins mittlere Beamtenverhältnis zurückgestuft und hatte nun eine Blockausbildung, aufgeteilt zwischen einem Schulblock und praktischer Ausbildung in den einzelnen Ämtern der Verwaltung.

Wurde mir noch nach dem Auswahlverfahren gesagt, man habe mit mir als Behinderte etwas Besonderes vor, ich sollte in der Behindertenarbeit aktiv werden, so war jetzt keine Rede mehr davon. Mein erster Posten war das Einwohnermeldeamt.

Toll, vormittags Publikumsverkehr, das hat Spaß gemacht. Ich gehe gerne mit Menschen um. Aber nachmittags, nur schriftliche Arbeiten, Schreibmaschine schreiben, Karteikarten in die Ablage einsortieren, die sich in den untersten Schubladen befanden. Diese Schreibtischschubladen waren riesen Monster und unheimlich schwer und ich wurde immer langsamer, ich schaffte meine Arbeit nicht, es sammelten sich Restbestände. Ich fing das Rauchen an, damit ich wenigsten zwischen durch ab und zu mal eine kurze Pause machen konnte, ich führte Privatgespräche, sobald sich die Gelegenheit ergab. Aber ich kapierte selber nicht was da ablief.

Der Erfolg: Eine Ermahnung nach der anderen, eine Verlängerung in dem Amt nach der anderen. Dann kam ich aber doch noch in andere Ämter und da ging es mir besser, solange ich nicht körperlich belastet wurde.Aber das weiß ich natürlich erst heute.

Nach meiner Abschlussprüfung durfte ich dann auch noch wieder im Meldeamt anfangen, was den ganzen Kreislauf von vorne losgehen ließ. Man verlängerte meine Probezeit und fragte mich, was ich denn am liebsten machen würde. Ich wäre gerne irgendwo hingekommen, wo ich Telefondienst machen kann. Und das wurde mit auch ermöglicht, nur leider war es nicht nur Telefondienst, sondern ich sollte auch Berichte für den Sonderkindergarten für Körperbehinderte und die neurologische Ambulanz schreiben und einmal im Quartal die Abrechnungen machen.

Ich freute mich auf die Arbeit, aber der überwiegende Teil war dann doch tippen nach Diktat vom Band und nach Vorlage und dann noch zusätzlich die vielen Abrechnungen und so kam es wie es kommen musste. Ich schaffte auch hier meine Arbeit nicht.

Mir wurde schriftlich mitgeteilt, dass ich faul sei und viele Privatgespräche führen würde. Mir wurde vorgerechnet, welchen Schaden ich der Verwaltung machte. Es war die Hölle. Aber sie konnten mich nicht entlassen und so wurde ich zum zweiten Mal zurückgestuft. Jetzt war ich nur noch im Angestelltenverhältnis…….


So, da mein Leben aber doch noch einige Jahre zu bieten hat, folgt demnächst noch Teil 3. Ich hoffe, ich schaffe es genauso schnell, ihn fertig zu stellen, aber seid bitte nicht böse, wenn es doch noch länger dauert.

Liebe Grüsse
Karin

19.9.05

Die Geschichte der Karin S. (Teil 1)

Die Geschichte der Karin S.

Es geschah an einem wunderschönen Sommertag im Jahre 1956. Eine Gruppe Kinder zwischen 3 und 6 Jahren spielten friedlich im gemeinsamen Sandkasten des Hinterhofs.
Bis auf kleine Schlägereien mit der Schippe, ging es recht friedlich zu. Es wurden Sandkuchen gebacken und da Karin sich gerade mit einem älteren Kind angelegt hatte, wurde zur Versöhnung ein Stückchen dieses Sandkuchens probiert. Doch wie schnell war dieser schöne Nachmittag vorbei und alle Kinder mussten nach Hause.

Hmm…. Ich schmecke noch den Sand zwischen den Zähnen. Es war sicher ein schöner Tag, aber die Folgen waren verheerend. Einige Zeit später wurden immer mehr Kinder dieser vergnügten Runde krank. Grippe…. sagten die Ärzte, aber meine Mutter, als gelernte Kinderkrankenschwester, wusste es besser und sorgte dafür, das ich so schnell wie möglich in ein Krankenhaus eingeliefert wurde und dort wurde dann auch ihre Vermutung bestätigt: Ich hatte mich mit dem Poliovirus infiziert. Tja und da blieb ich dann zunächst für ein halbes Jahr. Nach dieser Zeit konnte ich wieder ein ganz klein wenig stehen, ich konnte wieder sitzen und wollte eigentlich nur noch nach Hause. Aber ich wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt. Dort hat man mich dann für ein weiteres halbes Jahr in ein Gipsbett gelegt.
Ich weiß nicht, was ich im ersten Krankenhaus für Ausfälle hatte, ich weiß nicht, ob ich wirklich beatmet wurde, aber ich weiß, das ich nach dem zweiten Halbjahr nichts mehr konnte. Meine Eltern holten mich nach Hause. Auf dem Heimweg wurde ich noch einem Orthopäden vorgestellt, der mich in einen Rolli setzen wollte und meiner Mutter ins Gesicht sagte: “Die wird immer so ein Krüppel bleiben, aber seien sie froh, die wird nie 25“
Meine Mutter hat diesen Satz nie vergessen und sie war mir dankbar, das ich mich gegen diesen Arzt gewehrt habe und ihn mit meine Fingernägeln (die waren nach den Krankenhaus noch recht lang) das Gesicht zerkratz habe und er uns daraufhin rausgeworfen hat.
Danach begann für mich, aber auch für meinen großen Bruder, eine harte Zeit. Täglich wurde geübt. Mein Bruder schleppte mich auf seinem Rücken hängend Schritt für Schritt vorwärts, meine Mutter rutschte auf den Knien hinter uns her und setzte meine Füße Schritt für Schritt vor. Jede Bewegung wurde ausführlich in Worte gefasst, bis ich es mitsprechen konnte und dann eines Tages auch mit den Bewegungen verknüpfen. Mein Bruder war froh, wenn diese Übungen vorbei waren, aber für mich ging es über den Tag verteilt weiter. Gleichzeitig musste ich wieder lernen, mich hochzuziehen, mich selbständig aufzurichten. Ich musste lernen selber zu essen und… ich musste lernen, das eine Stubenfliege mir nichts tut. Das ich heute jedes Lebewesen liebe habe ich meinem Vater zu verdanken, der statt mit mir zu schimpfen mir die Schönheit jedes Lebewesens nahe gebracht hat.
Zu meinem 5. Geburtstag bekam ich dann ein Fahrrad, ein richtiges Fahrrad, zwar mit Stützrädern, aber egal. Ich konnte noch nicht alleine auf- und absteigen, aber meine Mutter setzte mich nachmittags drauf und ich durfte um den Häuserblock fahren, bis mein Vater nach Hause kam. Der hat mich dann wieder hoch in die Wohnung getragen.
Dieses Fahrrad wurde mein bester Freund. Ich konnte überall hin, konnte anderen Kindern zuschauen, konnte mich ausruhen, wenn ich wollte, konnte sogar kleine Besorgungen an unserem Büdchen machen, da ich da ohne abzusteigen hinkam. Ich wurde selbständiger und immer selbstbewusster.
Doch eines Tages reichte es mir nicht mehr. Mittlerweile hatte mein rechtes Bein wieder so viel Kraft, das ich darauf stehen konnte, wenn auch nur kurz. Also, was macht Karin. Sie lässt sich an einem Geländer vom Fahrrad rutschen und montiert die Stützräder ab. Eigentlich sollte mein Vater sie ja an dem Tag wieder festdrehen, aber ich wollte es anders. Mit Hilfe des Geländers und der Hauswand habe ich mich abgestoßen und bin dann Runde um Runde um den Block gefahren. Ich muss wohl so laut gejauchzt haben, dass meine Mutter aus dem Fenster schaute. Sie hat einen riesigen Schreck bekommen, aber bevor sie unten war, kam schon mein Vater mit seinem Rad um die Ecke. Er hat sofort die Situation erfasst, schmiss sein Rad zur Seite und fing mich ab. Na ja, dass ich dann was zu hören bekam, war ja klar, aber ich brauchte keine Stützrädchen mehr und so begann meine Freiheit. Ich habe unser Dorf unsicher gemacht. Überall kannte man mich. Es war schön, die Zeit. Auch als ich dann nach und nach wieder richtig laufen konnte und nur noch mit einer Schiene versehen war, blieb das Fahrrad weiterhin mein bester Freund.

Dann sollte ich in die Schule. Ich wollte unbedingt in die Volksschule, wie mein Bruder, aber die Ämter mischten sich nun ein und wenn meine Eltern nicht so Kämpfernaturen gewesen wären, hätte man mich in ein Heim gesteckt.
Meine Volksschulzeit war eine schöne Zeit. Die Mitschüler kannten mich und bis auf ein oder zwei haben mich alle akzeptiert. Doch als es auf den Schulwechsel zuging, wurde es kompliziert. Eigentlich sollte ich auf das Gymnasium, aber das Nächste war in der Kreisstadt und bis zur Bushaltestelle hätte ich es noch nicht geschafft. Realschule…. Das gleiche Problem und so sollte ich schweren Herzens weiter auf die Hauptschule gehen.
Aber ich hatte Glück. Hinter der Volksschule wurde eine Baracke aufgestellt und es wurde eine Realschule gegründet. Ich war die Erste, die angemeldet wurde. Es war ein tolles Gefühl. Ich konnte mit dem Rad hinfahren. Aber es wurde keine schöne Zeit. Ich wurde gequält und gehänselt und mir so meine ganze Freude am Lernen genommen.
Auch nach dem Umzug in eine andere Stadt ging es nur eine Weile gut, solange ich neu war und interessant, aber dann ging es wieder los und wieder hatte es Auswirkungen auf meine Leistungen. Es war für mich eine schlimme Zeit und ich habe sie mir auch noch durch zwei Ehrenrunden selber verlängert, statt denen es zu zeigen und einfach besser zu sein. Meine Eltern konnten das nie verstehen, zumal ich zu Hause nie etwas von den Quälereien erzählt habe. Aber jede Schulzeit geht einmal zu Ende. So auch meine. Mit einem halberwegs passablen Zeugnis ging es auf Ausbildungsplatz Suche. Ich wollte so gerne etwas mit Kindern machen, aber das Arbeitsamt hat es schlichtweg verboten mit der Begründung, ich könne ja keinem Kind hinterher laufen. So bewarb ich mich bei der Verwaltung. Beim Auswahlverfahren habe ich sehr gut abgeschnitten und konnte mich auch gegen etliche Gymnasiasten durchsetzen.

Das wäre der erste Teil.... Fortsetzung folgt, aber habt bitte Geduld.
Liebe Grüsse
Karin