13.1.06

„Assistenz - das ist wie von einer schweren Krankheit gesund zu werden“ - Porträt von Ferdinand Schießl

Als ich Ferdinand Schießl Mitte der 90er Jahre das erste Mal bei einer Pressekonferenz zu einer Protestaktion gegen die Mängel der geplanten Pflegeversicherung in Bonn kennen lernte, lag er in seiner Eisernen Lunge auf dem Tisch und machte auf beeindruckende Weise deutlich, weshalb eine selbstbestimmte Assistenz für behinderte Menschen nötig ist.

Mit seinen 21 Jahren, seit denen Ferdinand Schießl inzwischen trotz hohem Assistenzbedarf seine Hilfen selbst organisiert, gehört der heute 45jährige zu den Vorreitern eines selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen in Deutschland.

Wenn man sich mit dem in München Ansässigen über seine Geschichte unterhält, spürt man förmlich die Energie, mit der er sich dafür engagiert, in einer eigenen Wohnung leben zu können und die Hilfen so zu organisieren, wie er sie braucht.

Dabei fing das Leben des Rollstuhlfahrers, der eine Eiserne Lunge zur Unterstützung der Atmung benutzt, alles andere als auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichtet an.

Aufwachsen in Einrichtungen

„Die ersten zwölf Jahre meines Lebens verbrachte ich im Schwabinger Krankenhaus, wo auch Uwe Frevert vom Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmtes Leben in Deutschland – ISL e.V. - seine Kindheit verbringen musste.

Danach zog ich zusammen mit meinen Eltern in die Münchener Stiftung Pfennigparade, wo ich meinen Hauptschulabschluss machte,“ erinnert sich Ferdinand Schießl. Dort bewohnte er zusammen mit seinen Eltern eine 3 Zimmer Wohnung, so dass letztendlich die ganze Familie in der großen Sondereinrichtung lebte.

„Dies bedeutete, dass ich völlig auf meine Eltern angewiesen war, weil ich Hilfen bei vielen Verrichtungen des täglichen Lebens brauche. Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich dabei erheblich einschränken musste. So konnte ich zum Beispiel nie ins Bett, wann ich wollte, denn wenn ich länger aufbleiben wollte, hätte meine Mutter auch länger aufbleiben müssen.

Vor allem konnte ich nicht weg, wann ich wollte und damals war ich ein ziemlich verrückter Fussballfan von 1860 München und bin zu sämtlichen Spielen mitgefahren. Darüber hinaus war mein Vater ziemlich ängstlich, dass mir etwas passieren könnte, so dass es ständig Konflikte gab,“ resümiert Ferdinand Schießl das damalige Dilemma, in dem er steckte. Ihm wurde also schnell klar, dass er etwas unternehmen musste, um seine Situation zu verbessern.

Auf eigene Faust

„Ich bin dann schließlich auf den Gedanken gekommen, dass ich völlig selbständig und alleine leben will und bin ohne Wissen meiner Eltern zum Wohnungsamt gegangen und habe mich für eine eigene Wohnung beworben.“

Dabei hatte er jedoch nicht damit gerechnet, dass der Antwortbrief des Wohnungsamtes an seine Eltern anstatt an ihn selbst geschickt wurde. „Als meine Eltern auf diese Weise von meinem Plan auszuziehen Wind bekamen, gab es bei uns zu Hause ein heftiges Gewitter. Meine Eltern waren, wie viele andere in einer solchen Situation wahrscheinlich auch, bitter enttäuscht von mir und machten mir deutlich, dass das doch gar nicht geht und ich es nie schaffe, allein zu leben.“

„Nach einem furchtbaren Streit haben wir uns schließlich darauf geeinigt, dass sich meine Eltern eine neue Wohnung suchen und ich die bisherige Wohnung in der Pfennigparade übernehme, weil diese bereits behindertengerecht war und ohnehin auf meinen Namen lief und sich meine Eltern leichter um eine Wohnung der Bundesbahn bewerben konnten“, erinnert sich Ferdinand Schießl.

Ein damaliger Freund zog darauf hin zu ihm in die Wohnung in der Pfennigparade ein und die Pflege wurde über den Hausdienst der Pfennigparade geregelt. Trotz dieses sanften Übergangs in eine selbstbestimmtere Lebensform musste er schnell feststellen, dass die Pflege durch den Hausdienst nicht das richtige für ihn war.

„Ich befand mich immer in der Warteschleife. Selbst wenn man auf´s Klo musste, musste man warten. Dann kamen Leute zu einem, die mir persönlich unsympathisch waren und von denen musste ich mich dann versorgen lassen. Ich musste mich eine Woche vorher anmelden, wenn ich mal ins Kino wollte. Und das Schlimmste war, dass man sich in ein Buch eintragen musste, wenn man baden wollte. Das fand ich ganz ganz furchtbar, denn auf diese Weise ging mir jede Privatsphäre verloren.“

Die Assistenz selbst organisieren

So hat er es auch nur genau vier Wochen unter diesen neuen Bedingungen ausgehalten. „Durch Zufall hatte ich ein Schreiben vom Sozialamt in die Hände bekommen, in dem aufgelistet war, wie viel Geld die Pfennigparade für meine Pflege bekommt - und das waren immerhin 70.000 DM pro Jahr für die maximal 3 Stunden Hilfe, die ich damals pro Tag bekam.

Da dachte ich mir, wenn ich das Geld in die Finger kriege, kann ich meinen Pflegedienst auch selbst organisieren.“ So fragte Ferdinand Schießl in einem Brief an das Sozialamt freundlich an, ob er seine Pflege nicht selbst organisieren könne, wenn es nicht mehr kostet. Die schnelle Antwort vom Sozialamt, dass eine derartige Lösung aus Sicht des Sozialamtes durchaus möglich wäre, wenn die Pfennigparade nichts dagegen hat, ermunterte ihn, den angedachten Weg weiter zu gehen und sich diese einmalige Chance nicht entgehen zu lassen.

„Ich bin dann gleich mit einer schriftlichen Anfrage zur Pfennigparade, die ich mit Hilfe einer Sozialarbeiterin geschrieben hatte, in der ich begründete, warum ich meine Pflege selbst organisieren will und mich in der Pfennigparade nicht gut versorgt fühle,“ faßt er diesen nicht unkomplizierten Prozess zusammen.

Das Argument, dass es keine Nachtwache gab und es für ihn ein Sicherheitsrisiko darstellt, wenn er in der Eisernen Lunge liegt und nicht telefonieren kann, um Hilfe holen zu können, gab schließlich den Ausschlag für die Zustimmung der Pfennigparade zur Selbstorganisation der Pflege. „Diese hatte sich zwar lange gewunden und sogar überlegt, eine Nachtwache einzurichten, was ihnen letztendlich aber nicht recht war, so dass sie schließlich meinem Ansinnen zustimmten.

Mit dieser schriftlichen Zustimmung in der Hand bin ich gleich persönlich zum Sozialamt spaziert und habe mit Nachdruck deutlich gemacht, dass jeder Tag für mich unsicher ist und zählt, so dass ich gleich eine positive Zusage bekam.“

Dieses konsequente Vorgehen wurde Ferdinand Schießt auch dadurch erleichtert, weil er in den vier Wochen seines Alleinlebens einen Zivildienstleistenden der Pfennigparade kennen gelernt hatte, der ihn ermuntert hat, diesen Weg zu mehr Selbstbestimmung zu gehen. „Er hat mir versprochen, mich in der Übergangszeit zu unterstützen und hat sein Versprechen auch gehalten.

In der 3 ½ monatigen Übergangszeit bis mein Antrag letztendlich beschieden war, machte er eine Vielzahl von Doppelschichten bei der Pfennigparade und mir und war Tag und Nacht für mich da.“ In dieser Zeit hat Ferdinand Schießl dann auch andere Leute kennen gelernt, die einsprangen, wenn er Unterstützung brauchte.

Auf der Beatmungsstation, auf der er hin und wieder untergebracht war, hatte er zum Beispiel einen ehemaligen Zivildienstleistenden kennen gelernt, der Mathematik studierte, den er als ersten richtigen Assistenten damals für 7,50 DM /Stunde einstellte und für den sich diese Tätigkeit ideal mit seinem Studium verbinden ließ. So begann für Ferdinand Schießl sein neues Leben als behinderter Arbeitgeber.

Auszug aus der Pfennigparade

Nachdem er nun als Arbeitgeber seine Assistenz selbst organisierte, vollzog Ferdinand Schießl mit seinem Auszug aus der Pfennigparade 1983 einen weiteren Schritt zur Ablösung aus der Sondereinrichtung. „Ich konnte damals die Leute in der Sondereinrichtung einfach nicht mehr ertragen. Man geht nicht raus, hat alles, lernt keine neuen Leute kennen.

Immer nur Rollies, Hausmeister, es war einfach immer der gleiche Trott, der mich abstumpfte. Hinzu kam, dass Leute, die früher als meine Eltern noch in der Wohnung wohnten, nett waren, sich plötzlich furchtbar aufgeführt haben und es immer wieder Streit gab,“ schildert er die damalige Situation, die ihn dazu führte, eine eigene Wohnung außerhalb der Pfennigparade zu suchen.

Obwohl es damals nicht so schwer war, eine behindertengerechte Wohnung zu finden, hat er viel Glück gehabt. Zusammen mit einem Freund, der auch aus der Pfennigparade ausziehen wollte, suchte er zwei behindertengerechte Wohnungen, die nah beieinander lagen.

Planstabsmäßig organisierten die beiden damals die Wohnungssuche. Sein Freund saß immer am Telefon, so dass sie auf jeden Fall erreichbar waren und er fuhr hin und schaute sich die Wohnungen an. Eines Tages erhielten sie schließlich einen Anruf von einer Frau, deren Wohnung frei wurde und die erzählte, dass im Nachbarhaus auch eine behindertengerechte Wohnung frei wurde. Wie Ferdinand Schießl es ja mittlerweile schon gewohnt war, war auch nun wieder einmal schnelles Handeln angesagt.

„Nachdem uns die Vermietern zugesichert hatte, dass wir die Wohnungen bekommen, wenn die Kosten für die Miete übernommen werden, ließen wir uns von ihr zusichern, dass der Mietvertrag gilt, wenn wir die Kostenübernahme nachweisen. Ich bin darauf hin gleich zur übergeordneten Behörde des Sozialamtes des Bezirkes Oberbayern gefahren.

Da deren Gebäude nicht rollstuhlzugänglich war, habe ich mich hoch tragen und auf den Schreibtisch des zuständigen Sachbearbeiters legen lassen. Ich habe damals voll auf Angriff gesetzt und er fand das super und unterstützte uns, indem er seiner Sekretärin gleich einen Brief an den Makler diktierte, so dass wir zwei Wochen später in unsere eigenen Wohnungen einziehen konnten. Meine Erfahrung, dass es immer gut ist, die Verantwortlichen persönlich anzusprechen, hatte sich also auch dieses Mal ausgezahlt,“ beschreibt Ferdinand Schießl diese Blitzaktion.

Assistenz als Arbeitsplatz

Mit der eigenen Wohnung außerhalb der Sondereinrichtung und der Selbstorganisation der Assistenz im Rücken, machte sich Ferdinand Schießl nun daran, die Assistenzorganisation auf zuverlässigere Beine zu stellen. Während er einerseits damit beschäftigt war, weitere Anträge auf Erhöhung der ursprünglich viel zu niedrig bemessenen Assistenzstunden und auf Anpassung der Entlohnung der AssistentInnen zu stellen, wurde ihm schnell klar, dass er ohne die Einrichtung von sozialversicherungstechnisch abgesicherten Arbeitsplätzen seinen Assistentenstamm nicht auf Dauer halten kann.

Während er bereits Anfang der 80er Jahre mit diesem Ansinnen nicht weiter kam, gelang es letztendlich Ende der 80er Jahre die Assistenzverhältnisse offiziell als Arbeitsplatz anzuerkennen und die damit verbundenen Lohnnebenkosten bezahlen und abrechnen zu können. „Obwohl ich über die Neuregelung froh war, musste ich nun plötzlich ein Experte in Buchhaltung und im Abrechnungswesen sein.

Zuerst hat mir dabei ein Assistent geholfen, der Betriebswirtschaft studiert hatte. Heute mache ich das nicht mehr selbst, da es mir einfach zu viel ist. Zuerst hatte ich dies an einen Steuerberater abgegeben, heute macht dies die Abrechnungsstelle des Verbundes behinderter ArbeitgeberInnen – VbA e.V. – in München für mich. Die Kosten hierfür werden vom Sozialhilfeträger übernommen.“

Kann mir kein anderes Leben mehr vorstellen

Danach befragt, wie er die heutige Situation einschätzt, zögert Ferdinand Schießl keine Sekunde: „Ich kann mir ein anderes Leben nicht mehr vorstellen, weil ich die Unterschiede zu damals noch gut in Erinnerung habe. Das ist wie von einer schweren Krankheit doch noch gesund zu werden. Mich hat damals am meisten die Abhängigkeit vom Pflegepersonal fertig gemacht.

Für alles, was du tun wolltest, musstest du dich eintragen, wenn´s dich am Kopf juckt - die vielen kleinen Dinge sind oft das Schlimmste – musst du warten bis jemand Zeit hat, dich zu kratzen. Es war einfach unterhalb der Menschenwürde, wenn man sich eintragen und lange vorher anmelden musste, wenn man Baden, ins Theater oder einfach mal nur die Eltern besuchen wollte.

Irgend wann läßt man´s dann lieber. Deshalb musste ich das schnell verändern, sonst wäre ich eingegangen. Erst dann ging für mich das richtige Leben los, so dass ich jetzt endlich wie jeder Andere machen kann, was ich will.“

So ist Ferdinand Schießl heute ein sehr aktiver Mensch, der gerne auf Reisen geht, zu einem leckeren Essen und einem guten Glas Wein nicht Nein sagt, gerne am Computer arbeitet und in einer Hockeymannschaft von ElektrorollstuhlnutzerInnen mitspielt und viel für diesen Verein macht.

In München geboren, möchte er aus dieser Stadt auf keinen Fall mehr weg, denn diese sei für Rollstuhlfahrer ideal und es würde ihn wieder viel Energie kosten, seine Pflege wo anders neu zu organisieren. „Und das will ich mir auf keinen Fall noch einmal antun,“ sagt er überzeugt.

So sind die Wünsche von Ferdinand Schießl für sich selbst auch eher bescheiden, als ich ihn frage, was er sich von einer guten Fee wünschen würde. „Mit Sicherheit würde ich ihr nicht sagen, dass ich laufen will. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich würde mir wünschen, dass es gesetzlich geregelt ist, dass die Leute, die so leben wie ich, die Hilfen, die sie brauchen selbstverständlich bekommen und nicht ständig Rechenschaft ablegen müssen und auf diese Weise ständig entwürdigt werden.

Die dauernde Kostendiskussion geht mir gewaltig auf den Nerv, denn es geht hier um ein würdiges Leben und nicht um irgend welche Luxusartikel. Ich wünsche mir einfach, dass behinderte Menschen als gleichberechtigt und nicht als Exoten gesehen werden.“

4.12.05

Robert war in der Reha-Kur!

Hallo Leute,

vom 29. September bis 26. Oktober 2005 war ich im Quellenhof in Bad Wildbad.

Der Ort:
Bad Wildbad liegt in einem kleinen Tal im Nördlichen Schwarzwald, zwischen Pforzheim, Baden Baden und Karlsruhe. Der Durchgangsverkehr wird in einem Tunnel um den Ort herumgeleitet.

Der kleine Ort, etwa 15 000 Einwohner, ist in seiner Innenstadt, die komplett als Fußgängerzone ausgebaut ist, fast ganz rollstuhlgerecht.

Auch alle Geschäfte und Cafes sind bequem mit dem Rollstuhl erreichbar. Wo dies mal aus baulichen Gründen nicht geht, trifft man immer starke Arme, die helfend zur Stelle sind.

Auch hat der Ort einen sehr schönen naturbelassenen Stadtgarten, entlang der malerischen Enz ,die sich hier noch den Weg um dicke Felsblöcke sucht. Auch dieser ist mit geteerten Wegen natürlich rollstuhlgerecht. Man kommt mit dem Rollstuhl durch den Park und den Ort, ohne nennenswerte Steigungen bewältigen zu müssen.

Die Klinik:
Der Quellenhof liegt am Anfang des Kurparks und die S-Bahn-Endhaldestelle ist direkt vor der Tür. Mit dieser Bahn kommt man bequem und ohne umsteigen zu müssen, nach Pforzheim und sogar bis in die Fußgängerzone von Karlsruhe. Fast alle Haltestellen sind auch hier rollstuhlgerecht.

Der Quellenhof war früher ein Hotel in dem schon Könige und Fürsten abgestiegen sind, um sich an dem warmen Thermalwasser zu erlaben. Er verbindet heute das Ambiente eines ehemaligen Kur- und Luxushotels mit vielen Aspekten einer modernen Klinik.

Im denkmalgeschützten Altbau befinden sich der Therapiebereich, Speisesaal und Cafeteria. Der Neubau beherbergt die modernen, komplett rollstuhlgerechten Zimmer, alle mit Balkon.

Im Quellenhof wird ein PPS spezielles Therapieprogramm für Post-Polio-Patienten angeboten, das ganz individuell auf jeden einzelnen zugeschnitten wird.


Eine familiäre Atmosphäre kommt dadurch zustande, daß der Quellenhof mit seinen 130 Betten eine eher kleine Klinik ist. Dies hat meiner Meinung nach außerdem den Vorteil, dass alles sehr überschaubar ist.

Hier fühlt man sich wohl: Auch deshalb, weil man hier nicht nur ein „Geldbringer“ oder eine Nummer ist. Hier ist man ein gern gesehener Gast, auf dessen Wünsche, Sorgen und Nöte jeder einzelne des Personals der Klinik gerne eingeh.

Besonders hervor heben möchte ich, daß der Quellenhof durchweg auch Therapien anbietet, die in anderen Reha-Kliniken nicht unbedingt zum Standard-Programm gehören: Endspannung nach Feldenkrais, Hippotherapie und Kunsttherapie, um nur einige zu nennen.

Der Raum der Kunsttherapie ist beispielsweise Tag und Nacht und an Sonn- und Feiertagen geöffnet. Man kann also in einer schlechten Nacht aufstehen, in den Kunstraum gehen, zu den Malutensilien greifen und sich beim Malen entspannen. Und keiner stört dabei, keine Nachtwache, die dich ins Bett scheucht.

In wenigen Minuten erreicht man vom Quellenhof aus gleich zwei sehr unterschiedliche Thermalbäder. Eines mit stündlicher Wassergymnastik sowie Sauna usw. Und zum anderen das „Palais Thermal“, einen Wellnes-Tempel der gehobenen Klasse, der aber auch wirklich keine Wünsche mehr offen läst.

Nun habe ich aber genug geschwelgt. Abschließend noch ein paar interessante Links und Kontakt-Adressen.

Auf bald im Quellenhof

Liebe Grüße

Robert

30.11.05

Gründung SHG Polio-Spätfolgen Aachen - Eine Momentaufnahme!

Es ist Freitag, der 4. 11. 2005 um ca. 17.30 Uhr. Ich befinde mich im Cafe Miteinander im Behindertenwohnzentrum in der Stettiner Straße 25 in Aachen.

Noch bin ich mit meiner Frau, Herrn Hamacher vom Leitungsteam des Cafe Miteinander und zwei poliobetroffenen Damen, die zu früh angereist sind, alleine.

Ich bin aufgeregt.

Zwar bin ich an Publikum gewöhnt, nachdem ich früher jahrelang am Wochenende als Sänger mit einer Band teilweise in ganz Deutschland unterwegs war. Und das sicher vor wesentlich größerem Publikum.

Im Unterschied zu damals geht es hier aber nicht darum, auch zwischen den diversen Musikstücken den richtigen Ton zu treffen und coole Sprüche zu klopfen.

Nein, jetzt muß ich Farbe bekennen!

Jetzt muß ich fundiert eine Gruppe von Betroffenen davon überzeugen, wie wichtig es ist, eine Selbsthilfegruppe zum Thema Spätfolgen Polio ins Leben zu rufen und diese auch mit Leben zu erfüllen.

Jetzt geht es darum, qualifiziert und in verständlichem Deutsch darzulegen, wie ich mir das alles vorstelle.

Jetzt gilt es, medizinische Symptome zu erklären, von denen ich manchmal den Eindruck habe, kaum zu wissen, wie man sie richtig schreibt.

Ich muß auf Fragestellungen konkret antworten, einen Zeitplan einhalten, Organisatorisches klären, das zwischenmenschliche Gespräch suchen, ich muß helfen, Angebote machen und vieles mehr.

Langsam aber sicher trudeln die Teilnehmer ein. Ich begrüße sie alle mit Handschlag und versuche so von vorne herein einen guten Kontakt zu bekommen.

Endlich ist es 18.00 Uhr. Fast alle eingeladenen Teilnehmer haben Platz genommen. Ihre Blicke scheinen förmlich an meinen Lippen zu kleben und ich weiß: Jetzt geht's los!

Also beginne ich mit meinen „Monolog“, denn das Treffen ist als Informationsveranstaltung konzipiert, auf der ich also zunächst einmal und vor allen Dingen informieren muß. Die Teilnehmer sind schließlich gekommen, um von mir etwas zu erfahren.

Ich erzähle davon, was meine Motivation ist, diese Selbsthilfegruppe zu gründen, ich versuche meine Vorstellungen klar zu machen, ich spreche über Symptome, ich definiere Zielsetzungen, ich berichte von persönlichen Erfahrungen, ich beantworte Fragen, ich erteile das Wort, ich führe zum Thema zurück...

Während ich das alles tue, spüre ich, wie meine Aufgeregtheit sich in Wohlgefallen auflöst, ja wie ich zunehmend Gefallen daran finde, genau diese Arbeit ganz konkret so zu machen, wie ich dies gerade tue.

In persönlichen Gesprächen erfahre ich, wie lange die Teilnehmer teilweise auf die Einrichtung einer solchen Gruppe gewartet haben, welchen Weg sie teilweise bereit sind, auf sich nehmen, um an den Treffen teilzunehmen und wie dankbar sie sind, sich endlich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, in einer Gruppe von Gleichgesinnten konkrete Hilfe zu erhalten, im Verbund mit anderen Betroffenen gemeinsam stark zu sein und über die Symptome der Kinderlähmungsspätfolgen endlich einmal etwas näheres und vor allem etwas konkretes zu erfahren.

Spätestens jetzt wird mir klar, daß ich den richtigen Weg gehe, nach all den Zweifeln, die mich zunächst gequält haben.

Denn als ich mich um ca. 21.45 Uhr auf den Weg nach hause mache, weiß ich:

Die Selbsthilfegruppe Polio-Spätfolgen Aachen hat noch eine Menge Arbeit vor sich. Aber da sie lebt, wird es gelingen!

Liebe Grüße

Lothar Epe

28.10.05

28.10.2005: Heute ist Welt-Polio-Tag!

Heute ist Welt-Polio-Tag! - Kampf der Impfmüdigkeit! - Aber was ist mit den Spatfolgen?

Hallo zusammen,

ich habe eine Weile überlegt, wo ich das hier unterbringe. Unter "Was sonst noch wäre" würde mir das ganze zu sehr "im Abseits" stehen.

Unter Bundesebene ist es eigentlich auch nur bedingt gut plaziert, weil es zumindest nicht direkt ein Bericht über die Arbeit auf Bundesebene ist.

Es geht aber letztlich doch um die Arbeit auf Bundesebene bzw. vielleicht sogar um die Arbeit, die auf Bundesebene nicht passiert oder nur bedingt, oder nicht gut genug oder wie auch immmer...

Dehalb stehts also hier und in "PF - das Onlinemagazin für Polios!"

Jou, was für ein Wetter! Die Sonne scheint, die Temperaturen werden auch heute wieder die 20-Grad-Marke überschreiten..... und das Leben ist schön!

Nicht zuletzt gilt es aber gerade heute, nicht nur ein wunderschönes Goldenen-Oktober-(Wochen)Ende zu genießen, sondern vielmehr auch darauf zu schauen, daran zu erinnern, daß die Kinderlähmung längst nicht ausgerottet ist, denn heute ist Welt-Polio-Tag!

Bis Ende 2005, so hatte man sich vorgenommen, sollte die Kinderlähmung ausgerottet sein, jedoch ist man nach wie vor weit von diesem heeren Ziel entfernt.

In Afrika und Asien gibt es 1350, in den USA vier Fälle von Polio, und die WHO spricht sogar von einem schweren Rückschlag!

Ja, auch heute ist wieder mal ein wunderschöner Tag, übrigens nicht nur, was das Wetter betrifft. Und in dieser euphorischen Stimmung hatte ich mir überlegt, mir noch einmal gleich morgens ein paar Zeitungen zu besorgen, um noch mal in aller Ruhe und schön gemütlich ein Frühstück mit ausführlicher Zeitungslektüre zu verbringen.

Also habe ich mir drei Zeitungen besorgt: das Wochenblatt "Die Zeit", die "Bild-Zeitung" und die "Aachener Zeitung".

So bot es sich an, auch einmal nachzuschauen, welchen Stellenwert eigentlich das Thema "Polio" an diesem 28.10.2005 in den jeweiligen Zeitungen einnimmt.

Während weder die "Bildzeitung" noch die aktuelle Wochenausgabe der "Zeit" sich diesem Thema in irgendeiner Form gewidmet haben, stand in der "Aachener Zeitung" (wenigstens) auf Seite 3 ein ganzseitiger und somit ausführlicher Bericht über die Problematik "Kinderlähmung ist noch nicht ausgerottet". Leider konnte ich auch dort trotz intensiver Suche kein einziges Wort zum Problem "Spätfolgen" finden!

Falls ich etwas übersehen haben sollte, bitte ich ausdrücklich um Nachsichtigkeit, denn auch meine Kurzsichtigkeit ist möglicher- und spekulativer Weise ein Spätfolge (von was auch immer!)

Und auch die Rundfunksender halten sich zum Thema "Polio" erschreckend offensiv zurück. Natürlich wird auch dort an der einen oder anderen Stelle heute und in den nächsten Tagen über das Problem "Polio" und die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung berichtet.

Aber erstens muß man schon etwas länger danach suchen (bin ich vielleicht einfach nur nicht schnell genug?), um darüber einiges zu finden, und zweitens habe ich bezüglich der Berichterstattung auch (wieder) so gut wie nichts zum Thema "Spätfolgen" gefunden.

Aber was ist denn nun eigentlich in diesem Zusammenhang mit den Spätfolgen? Kann man diese Thema so ohne weiteres vernachlässigen?

Sicher nicht! Und da sind wir uns zumindest hier und in den Gremien, die uns vertreten sicher einig!

Denn es gibt bekanntermaßen und schätzungsweise bis zu 100.000 Betroffene allein in Deutschland (wenn diese Zahl nicht sogar noch viel höher liegt).

Und zum anderen: Solange die Kinderlähmung nicht ausgerottet ist, gibt auch Spätfolgen! Dieser Aspekt wird meines Erachtens nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den mit der Problematik befassten Organisationen viel zu wenig berücktsichtigt und somit natürlich auch nicht in ausreichender Form in die Öffentlichkeit getragen.

Und was ist eigentlich mit den Spätfolgenbetroffenen, die erst in 20 - 30 Jahren oder noch später auf uns zukommen, deren Anzahl ja (bekanntermaßen) umso größer ist, je weniger man das Problem "akute Kinderlähmung" und "Impfmüdigkeit" jetzt und hier in den Griff bekommt? Können wir die so ohne weiteres vernachlässigen, frei nach dem Motto "Nach mir die Sintflut"?

Lieber Bundesverband Polio e. V., liebe sonstige mit der Problematik befassten "Dachverbände":

Warum auch immer: offensichtlich ist es uns Polios (noch) nicht gelungen, dafür zu sorgen, daß "unser Problem" eine adäquate Würdigung in den Medien und somit auch im Bewußtsein der Bevölkerung erfährt.

Egal, ob da nun was schief gelaufen ist oder das Problem so komplex und schwierig ist, daß dies noch nicht gelingen konnte:

Es gibt viel zu tun! Lassen wir es also nicht liegen!

Liebe Grüße

Lothar

24.9.05

Reise nach Prag

Wir haben drei wunderbare Söhne (meistens jedenfalls). Diese meinten, dass es mal an der Zeit wäre, ihren Eltern eine Reise zum Geburtstag zu schenken. Also buchten die Drei heimlich und leise unter der Regie von Pierre eine Städtetour nach Prag.

Gesagt getan, die Überraschung war groß. Und die Augen wurden noch größer als ich sah, dass es sich um eine Flugreise handelte. Ich bin noch nie geflogen!!!

Es kam der Tag der Tage, wir mussten morgens um 04.00 Uhr aufstehen. Die Nacht kaum geschlafen, die Angst vor dem Flug war sehr groß. Und am Flughafen dann die Erkenntnis: es ist noch kein Flugzeug oben geblieben, also rein ins Vergnügen!

Beim Einchecken wurde uns von einer freundlichen Mitarbeiterin von Germainwings mitgeteilt, dass uns eine Person an Bord des Flugzeugs begleiten würde. Dieser junge Mann kam wirklich, wir kamen mit dem Rolli sofort durch die Passkontrolle und auch als erste durch den Checkin an Bord.

Es waren bereits Plätze für Lothar und mich vorbereitet, so dass wir es uns in aller Ruhe bequem machen konnten. Der Start war klasse, der Flug unbeschreiblich und die Landung perfekt, so dass ich meine Flugangst sofort ablegen konnte.

In Prag angekommen, schnell einen Shuttelbus genommen, ab zum Hotel. Das Hotel kann sich sehen lassen und die freundlichen Mitarbeiter waren einfach spitze. Da unser Zimmer noch nicht fertig war, wurde uns auf Kosten des Hauses ein Kaffee serviert und nach 20 Minuten konnten wir das Zimmer beziehen. Es war ein Traumzimmer, groß genug, so dass Lothar mit dem Rolli keine Probleme hatte, einen wunderschönen Ausblick auf Prag bietend.

Nachdem wir unsere wenigen Habseligkeiten verstaut hatten, machten wir uns sofort auf den Weg in die Innenstadt von Prag. Das war unkompliziert, da direkt vor dem Hotel die richtige Haltestelle der Straßenbahn ist. Das Einsteigen war zwar jedes Mal etwas mühselig, da Lothar aus dem Rolli raus musste, der Rolli zusammengeklappt werden und das Ganze dann in die Bahn gehoben werden musste. Aber wir konnten so auf der Fahrt schon die Stadt genießen, wenn man von dem rasanten Tempo und den waghalsigen Fahrmanövern absah.

Prag ist nicht nur eine Reise wert, Prag muss man einfach und das mehrfach erleben. Die Stadt ist wunderschön, die Menschen sind freundlich und sehr bemüht einem zu helfen.

Unsere Wanderungen durch Prag führte uns in kleine Gässchen, die von außen wie einfache Toreingänge aussahen, im Innern jedoch kleine Cafes, Boutiquen und Geschäfte verbargen. Über unseren Köpfen hing oft die Wäsche der Mieter, die die Häuser bewohnten.

Wir fanden ein Hardrock-Cafe, wir fanden einen Straßenschmied, der Lothar einen selbst gemachten Kleiderharken schenkte. Wir fanden ein verborgenes Restaurant, in dem man köstlich speisen konnte (zu sehr humanen Preisen). Wir fanden einfach einmal Zeit für uns selbst, und wir fanden heraus, dass wir diese ganze Reise ohne Rolli nie hätten machen können! Es war zwar manchmal etwas mühsam, Lothar mit Rolli über das Kopfsteinpflaster zu schieben (in der Altstadt von Prag gibt es fast nur Kopfsteinpflaster in allen möglichen und unmöglichen Größen!!!), aber wir hatten trotzdem und irgendwie gerade deshalb unseren Spaß.
Natürlich machten wir auch eine Moldau-Schifffahrt und konnten so die Alexanderbrücke aus allen Perspektiven betrachten. Da Prag den Krieg ohne wesentliche Schäden (es wurde nur eine kleine Kirche von einer Granate getroffen) überstanden hat, ist sie mit ihren alten Gebäuden wirklich mehr als sehenswert. Wir hatten auch Glück mit unserem Reiseführer, einen sehr netten älteren Herren, dessen Vater lange Zeit in Wien gelebt hatte.

Die Zeit verging jedenfalls wie im Fluge, schnell waren unsere Tage in Prag zu Ende. Am letzten Tag wagten wir dann noch, mit der Straßenbahn zum Prager Schloss zu fahren. Ein imposantes Gebäude, für das wir nur leider viel zu wenig Zeit hatten.

Und nun noch eine kleine nette Episode zum Schluss:
Unser Hotel verfügte auch über ein sehr schönes Gartenlokal, leider aber mit dem Hindernis etlicher Treppen, runter wie rauf. Da wir nun die sehr schönen warmen Abende nicht im Zimmer verbringen wollten, sind wir also zur Rezeption mit der Frage, ob es einen anderen Weg in dieses Lokal geben würde. Die Dame war sehr nett und hilfsbereit und rief den Sicherheitsdienst. Dieser führte uns durch verschlungene Gänge und Wege zu einer Terrasse, auf der auch Tische und Stühle standen. Jedoch war das eigentliche Lokal, in welches wir wollten, immer noch nicht erreicht, es war noch eine Treppe zu bewältigen. Nachdem uns der nette Mann nach seine Meinung gut abgeliefert hatte, schauten Lothar und ich uns an, und meinten, dass es dort oben sicherlich netter sei, als so alleine auf der Terrasse. Also die Frage: „Lothar, schaffst Du die Stufen hinauf?“ „Aber klar doch, die paar Stufen schaffe ich, ist ja ein Geländer da, an dem ich mich festhalten kann.“ Also nahmen wir die Herausforderung an, und Lothar hangelte sich die Stufen empor und wir konnten es uns gemütlich machen. Einige Zeit später kam der Sicherheitsmann, um zu sehen ob alles in Ordnung war, und sah uns beiden oben sitzen. Ich glaube, er fühlte sich ein wenig vernatzt, so nach dem Motto: „Wie jetzt doch Laufen können?!“

Es gäbe noch so viel zu erzählen, aber dies würde den Rahmen sprengen, es käme wahrscheinlich ein Roman dabei heraus.

Unsere Zeit in Prag war wunderschön, aber leider viel zu kurz. Aber ich glaube, es war nicht unsere letzte Reise nach Prag.

Liebe Grüße

Chris und Lothar

22.9.05

Die Geschichte der Karin S. (Teil 2)

Aber war meine Schulzeit zwar eine Qual und habe ich sie mir auch selber verlängert, so war ich doch kein Kind von Traurigkeit.

Ich war eine ganz normale Jugendliche und so war mir die Schule einfach irgendwann völlig egal gewesen und nur in meiner Freizeit konnte und wollte ich: ich selber sein.

Ich war ja schon von klein auf eine absolute Leseratte und so war ich natürlich der häufigste Gast und die eifrigste Leserin in unserer Pfarrbücherei. Seit ich 12 war, durfte ich dort auch aktiv mitarbeiten und so kam ich nach und nach auch mit dem aktiven Pfarrleben zusammen.

Ich wollte auch in eine Jugendgruppe, hatte ich nun doch auch die städtische Jugendarbeit als Mitglied erlebt. Aber in unserer Pfarrei gab es nur eine „Jungen KJG“ und keine Mädchengruppe. Das fand ich nicht so super und so habe ich mich, ich war glaube ich gerade 16 geworden, daran gemacht alle 14 - 15jährigen Mädchen in unserer Pfarrei anzuschreiben. Die Liste bekam ich von unserem Jugendkaplan, der meine Aktivität voll begrüßte. Und ich hatte Glück. Es entstand eine nette Mädchengruppe.

Wir hatten viel Spaß miteinander, machten gemeinsam den Jugendgruppenausbilder und so entstanden schon nach kurzer Zeit aus meiner Gruppe neue Ableger. Gleichzeitig verliebte ich mich das erste Mal, unglücklich, denn diese „Liebe“ wie ich meinte wurde nicht erwidert. Nun ja, Karin konnte noch nie geduldig sein. Und so habe ich meinen Schwarm einfach gefragt, ob er mit mir gehen möchte…..aber er sagte nein. Teenagerzeit, erste Liebe, erster Liebeskummer…. Wer kennt das nicht.

Aber das Leben geht weiter und nachdem ich wieder aus meinem Schneckenhaus raus gekrochen bin, wurde ich noch aktiver und betätigte mich noch zusätzlich im Haus der Jugend. Ich half in der Teeküche und gab Spiele aus und lernte viele neue Menschen kennen, die mich einfach so akzeptiert haben, wie ich bin. Es war eine wunderbare Erfahrung, anerkannt und gemocht zu werden.

Parallel hatte meine Mutter auch weiterhin meine Gesundheit im Blick. Über meinen Orthopäden bekamen wir einen Vorstellungstermin in der Uniklinik bei Prof. Immhäuser, der sich sehr für Poliofälle interessierte. Es wurden alle möglichen Untersuchungen vorgenommen.

Nervenbahnen wurden mit Nadeln auf ihr vorhanden sein und ihre Aktivität getestet. Eine schmerzhafte Untersuchung, und es reichte nicht nur eine. Doch dann sollte ich darauf hin endlich meine Schiene loswerden. Mein linkes Fußgelenk sollte versteift werden und somit wie eine innere Schiene wirken. Ich freute mich darauf, musste mich aber noch bis nach meinem Schulabschluss gedulden.

Bevor ich dann meine Ausbildung angetreten habe, kam ich erst mal für 12 Wochen ins Krankenhaus. Zunächst wurden wieder alle möglichen Untersuchungen gemacht, dann wurde die OP ein ums andere Mal verschoben, aber dann sollte es doch endlich so weit sein.

Ich lag mal wieder vorbereitet im OP-Hemdchen in meinem Bett und wartete, da kamen sie mich holen… mit einem Rollstuhl. Ich war zwar erstaunt, aber dachte mir nichts dabei. Doch brachte man mich nicht in den Operationssaal, sondern in den Vorlesungssaal, wo Prof. Immhäuser einen Vortrag über Polio halten wollte.

Ich war 17 ich saß im OP – Hemd in einem Rollstuhl neben dem Rednerpult, vor mir ein Auditorium voller Studenten und Studentinnen, ich wurde rot und verlegen und schämte mich, aber ich saß ja.

Prof. Immhäuser stellte mein Krankheitsbild vor, zeigte Röntgenaufnahmen von mir, und jeder Student hatte sämtliche neurologischen Befunde vor sich liegen. Der Professor fragte seine Studenten, welche Bewegungen ich denn noch machen könnte.

Außer einem „gar keine“ und „ich weiß nicht“ kam eigentlich nicht besonders viel. Erst als ich dann aufstehen und durch den Raum laufen sollte (barfuss konnte ich sogar ohne Schiene gehen), ging ein Raunen durch den Saal und es hagelten Fragen über Fragen, wie dies denn möglich sei. Gebannt habe auch ich zugehört und einiges über Vorderhornzellen, Aussprossungen und Arbeitsübernahme durch andere Nervenbahnen erfahren. Aber auch, dass noch niemand weiß, wie sich diese Doppelarbeitsbelastung im späteren Leben auswirken wird.

Nun ja am nächsten Tag wurde ich dann aber auch endlich operiert und bald schon durfte ich mit Gehgips nach Hause. Regelmäßig musste ich wieder zur Kontrolle in die Klinik und als endlich nach einigen Wochen der Gips runter kam, war ich glücklich wieder normal laufen zu können. Anfangs fiel es zwar wieder schwer, aber ich erholte mich schnell und nachdem ich auch die Platten rausbekommen hatte, fing mein Lehrgang für den gehobenen nichttechnischen Dienst in der Verwaltungsakademie an.

Aber leider klappte das mit der Versteifung nicht so ganz. Nach meinem ersten Ausbildungsjahr musste ich wieder für 6 Wochen in die Klinik, weil sich das Gelenk wieder gelockert hat und ich reichlich Schmerzen hatte.

Danach hat man mir von der Verwaltung nahe gelegt, mich zurückstufen zu lassen und mich mit meinen schwächsten Fächern geködert. Ich würde Steno und Schreibmaschine erlassen bekommen und finanziell auch keine Einbussen haben.

Und ich… ich habe zugesagt, denn das ganze erste Jahr noch mal wiederholen, wollte ich nicht. Und so wurde ich ins mittlere Beamtenverhältnis zurückgestuft und hatte nun eine Blockausbildung, aufgeteilt zwischen einem Schulblock und praktischer Ausbildung in den einzelnen Ämtern der Verwaltung.

Wurde mir noch nach dem Auswahlverfahren gesagt, man habe mit mir als Behinderte etwas Besonderes vor, ich sollte in der Behindertenarbeit aktiv werden, so war jetzt keine Rede mehr davon. Mein erster Posten war das Einwohnermeldeamt.

Toll, vormittags Publikumsverkehr, das hat Spaß gemacht. Ich gehe gerne mit Menschen um. Aber nachmittags, nur schriftliche Arbeiten, Schreibmaschine schreiben, Karteikarten in die Ablage einsortieren, die sich in den untersten Schubladen befanden. Diese Schreibtischschubladen waren riesen Monster und unheimlich schwer und ich wurde immer langsamer, ich schaffte meine Arbeit nicht, es sammelten sich Restbestände. Ich fing das Rauchen an, damit ich wenigsten zwischen durch ab und zu mal eine kurze Pause machen konnte, ich führte Privatgespräche, sobald sich die Gelegenheit ergab. Aber ich kapierte selber nicht was da ablief.

Der Erfolg: Eine Ermahnung nach der anderen, eine Verlängerung in dem Amt nach der anderen. Dann kam ich aber doch noch in andere Ämter und da ging es mir besser, solange ich nicht körperlich belastet wurde.Aber das weiß ich natürlich erst heute.

Nach meiner Abschlussprüfung durfte ich dann auch noch wieder im Meldeamt anfangen, was den ganzen Kreislauf von vorne losgehen ließ. Man verlängerte meine Probezeit und fragte mich, was ich denn am liebsten machen würde. Ich wäre gerne irgendwo hingekommen, wo ich Telefondienst machen kann. Und das wurde mit auch ermöglicht, nur leider war es nicht nur Telefondienst, sondern ich sollte auch Berichte für den Sonderkindergarten für Körperbehinderte und die neurologische Ambulanz schreiben und einmal im Quartal die Abrechnungen machen.

Ich freute mich auf die Arbeit, aber der überwiegende Teil war dann doch tippen nach Diktat vom Band und nach Vorlage und dann noch zusätzlich die vielen Abrechnungen und so kam es wie es kommen musste. Ich schaffte auch hier meine Arbeit nicht.

Mir wurde schriftlich mitgeteilt, dass ich faul sei und viele Privatgespräche führen würde. Mir wurde vorgerechnet, welchen Schaden ich der Verwaltung machte. Es war die Hölle. Aber sie konnten mich nicht entlassen und so wurde ich zum zweiten Mal zurückgestuft. Jetzt war ich nur noch im Angestelltenverhältnis…….


So, da mein Leben aber doch noch einige Jahre zu bieten hat, folgt demnächst noch Teil 3. Ich hoffe, ich schaffe es genauso schnell, ihn fertig zu stellen, aber seid bitte nicht böse, wenn es doch noch länger dauert.

Liebe Grüsse
Karin

19.9.05

Die Geschichte der Karin S. (Teil 1)

Die Geschichte der Karin S.

Es geschah an einem wunderschönen Sommertag im Jahre 1956. Eine Gruppe Kinder zwischen 3 und 6 Jahren spielten friedlich im gemeinsamen Sandkasten des Hinterhofs.
Bis auf kleine Schlägereien mit der Schippe, ging es recht friedlich zu. Es wurden Sandkuchen gebacken und da Karin sich gerade mit einem älteren Kind angelegt hatte, wurde zur Versöhnung ein Stückchen dieses Sandkuchens probiert. Doch wie schnell war dieser schöne Nachmittag vorbei und alle Kinder mussten nach Hause.

Hmm…. Ich schmecke noch den Sand zwischen den Zähnen. Es war sicher ein schöner Tag, aber die Folgen waren verheerend. Einige Zeit später wurden immer mehr Kinder dieser vergnügten Runde krank. Grippe…. sagten die Ärzte, aber meine Mutter, als gelernte Kinderkrankenschwester, wusste es besser und sorgte dafür, das ich so schnell wie möglich in ein Krankenhaus eingeliefert wurde und dort wurde dann auch ihre Vermutung bestätigt: Ich hatte mich mit dem Poliovirus infiziert. Tja und da blieb ich dann zunächst für ein halbes Jahr. Nach dieser Zeit konnte ich wieder ein ganz klein wenig stehen, ich konnte wieder sitzen und wollte eigentlich nur noch nach Hause. Aber ich wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt. Dort hat man mich dann für ein weiteres halbes Jahr in ein Gipsbett gelegt.
Ich weiß nicht, was ich im ersten Krankenhaus für Ausfälle hatte, ich weiß nicht, ob ich wirklich beatmet wurde, aber ich weiß, das ich nach dem zweiten Halbjahr nichts mehr konnte. Meine Eltern holten mich nach Hause. Auf dem Heimweg wurde ich noch einem Orthopäden vorgestellt, der mich in einen Rolli setzen wollte und meiner Mutter ins Gesicht sagte: “Die wird immer so ein Krüppel bleiben, aber seien sie froh, die wird nie 25“
Meine Mutter hat diesen Satz nie vergessen und sie war mir dankbar, das ich mich gegen diesen Arzt gewehrt habe und ihn mit meine Fingernägeln (die waren nach den Krankenhaus noch recht lang) das Gesicht zerkratz habe und er uns daraufhin rausgeworfen hat.
Danach begann für mich, aber auch für meinen großen Bruder, eine harte Zeit. Täglich wurde geübt. Mein Bruder schleppte mich auf seinem Rücken hängend Schritt für Schritt vorwärts, meine Mutter rutschte auf den Knien hinter uns her und setzte meine Füße Schritt für Schritt vor. Jede Bewegung wurde ausführlich in Worte gefasst, bis ich es mitsprechen konnte und dann eines Tages auch mit den Bewegungen verknüpfen. Mein Bruder war froh, wenn diese Übungen vorbei waren, aber für mich ging es über den Tag verteilt weiter. Gleichzeitig musste ich wieder lernen, mich hochzuziehen, mich selbständig aufzurichten. Ich musste lernen selber zu essen und… ich musste lernen, das eine Stubenfliege mir nichts tut. Das ich heute jedes Lebewesen liebe habe ich meinem Vater zu verdanken, der statt mit mir zu schimpfen mir die Schönheit jedes Lebewesens nahe gebracht hat.
Zu meinem 5. Geburtstag bekam ich dann ein Fahrrad, ein richtiges Fahrrad, zwar mit Stützrädern, aber egal. Ich konnte noch nicht alleine auf- und absteigen, aber meine Mutter setzte mich nachmittags drauf und ich durfte um den Häuserblock fahren, bis mein Vater nach Hause kam. Der hat mich dann wieder hoch in die Wohnung getragen.
Dieses Fahrrad wurde mein bester Freund. Ich konnte überall hin, konnte anderen Kindern zuschauen, konnte mich ausruhen, wenn ich wollte, konnte sogar kleine Besorgungen an unserem Büdchen machen, da ich da ohne abzusteigen hinkam. Ich wurde selbständiger und immer selbstbewusster.
Doch eines Tages reichte es mir nicht mehr. Mittlerweile hatte mein rechtes Bein wieder so viel Kraft, das ich darauf stehen konnte, wenn auch nur kurz. Also, was macht Karin. Sie lässt sich an einem Geländer vom Fahrrad rutschen und montiert die Stützräder ab. Eigentlich sollte mein Vater sie ja an dem Tag wieder festdrehen, aber ich wollte es anders. Mit Hilfe des Geländers und der Hauswand habe ich mich abgestoßen und bin dann Runde um Runde um den Block gefahren. Ich muss wohl so laut gejauchzt haben, dass meine Mutter aus dem Fenster schaute. Sie hat einen riesigen Schreck bekommen, aber bevor sie unten war, kam schon mein Vater mit seinem Rad um die Ecke. Er hat sofort die Situation erfasst, schmiss sein Rad zur Seite und fing mich ab. Na ja, dass ich dann was zu hören bekam, war ja klar, aber ich brauchte keine Stützrädchen mehr und so begann meine Freiheit. Ich habe unser Dorf unsicher gemacht. Überall kannte man mich. Es war schön, die Zeit. Auch als ich dann nach und nach wieder richtig laufen konnte und nur noch mit einer Schiene versehen war, blieb das Fahrrad weiterhin mein bester Freund.

Dann sollte ich in die Schule. Ich wollte unbedingt in die Volksschule, wie mein Bruder, aber die Ämter mischten sich nun ein und wenn meine Eltern nicht so Kämpfernaturen gewesen wären, hätte man mich in ein Heim gesteckt.
Meine Volksschulzeit war eine schöne Zeit. Die Mitschüler kannten mich und bis auf ein oder zwei haben mich alle akzeptiert. Doch als es auf den Schulwechsel zuging, wurde es kompliziert. Eigentlich sollte ich auf das Gymnasium, aber das Nächste war in der Kreisstadt und bis zur Bushaltestelle hätte ich es noch nicht geschafft. Realschule…. Das gleiche Problem und so sollte ich schweren Herzens weiter auf die Hauptschule gehen.
Aber ich hatte Glück. Hinter der Volksschule wurde eine Baracke aufgestellt und es wurde eine Realschule gegründet. Ich war die Erste, die angemeldet wurde. Es war ein tolles Gefühl. Ich konnte mit dem Rad hinfahren. Aber es wurde keine schöne Zeit. Ich wurde gequält und gehänselt und mir so meine ganze Freude am Lernen genommen.
Auch nach dem Umzug in eine andere Stadt ging es nur eine Weile gut, solange ich neu war und interessant, aber dann ging es wieder los und wieder hatte es Auswirkungen auf meine Leistungen. Es war für mich eine schlimme Zeit und ich habe sie mir auch noch durch zwei Ehrenrunden selber verlängert, statt denen es zu zeigen und einfach besser zu sein. Meine Eltern konnten das nie verstehen, zumal ich zu Hause nie etwas von den Quälereien erzählt habe. Aber jede Schulzeit geht einmal zu Ende. So auch meine. Mit einem halberwegs passablen Zeugnis ging es auf Ausbildungsplatz Suche. Ich wollte so gerne etwas mit Kindern machen, aber das Arbeitsamt hat es schlichtweg verboten mit der Begründung, ich könne ja keinem Kind hinterher laufen. So bewarb ich mich bei der Verwaltung. Beim Auswahlverfahren habe ich sehr gut abgeschnitten und konnte mich auch gegen etliche Gymnasiasten durchsetzen.

Das wäre der erste Teil.... Fortsetzung folgt, aber habt bitte Geduld.
Liebe Grüsse
Karin